Fritz ist glücklich

Fritz ist glücklich. Das Ausweiden ist für ihn der Höhepunkt seiner Arbeit. Nein, es ist gar keine Arbeit. Für ihn ist es kreativ, in gewisser Weise Kunst. Der mittlerweile blutverschmierte Kunststoffgriff seines Zerlegemessers verschwindet fast völlig in seiner fleischigen Pranke. Die fein geschliffene 25 cm lange Klinge aus Chrom-Molybdän-Stahl gleitet scheinbar widerstandslos vom Unterbauch des kopfüber vor ihm hängenden Körpers bis zum Brustkorb. Dicke, bläulich-grau glänzende und von der Körperwärme dampfende Gedärme quellen über der Klinge hervor und verbreiten diesen typischen Geruch. Er saugt ihn tief in sich auf wie Jean-Baptiste Grenouille seine Parfums. Die Flügel seiner knolligen Nase weiten sich wie ein Segel im Wind, seine Augenlider schließen sich. Der Duft ist irgendwie klebrig-süß, animalisch. Sorgfältig löst er mit dem Messer die einzelnen Bänder, die die Innereien mit der Bauchhöhle verbinden, bis Darm und alle anderen inneren Organe schmatzend in die unter dem Körper platzierte Kunststoffwanne platschen. Dieselbe Kunststoffwanne in der der damals noch junge Fritz den blutleeren Leichnam seines Vaters in einer tiefen Lache seines eigenen Blutes fand, nachdem dieser sich vorher mit einem seiner fein geschliffenen Metzgermesser die Pulsadern perfekt aufgeschlitzt hatte. 

 

Als der junge Fritz den Metzgermeister Friedrich, seinen Vater, in seinem eigenen Blutsee in der Wanne schwimmen sah, gingen seltsame Dinge durch seinen Kopf. Er dachte daran, wie er ihn oft heimlich beim Schlachten durchs Kellerfenster beobachtet hatte. Er lernte dabei, was man beachten musste, wenn man eine Sau oder gar eine ganze Kuh ausweidet und zerlegt. Wie man im Keller beim Schlachten keine Sauerei anstellt, man sauber arbeitet sozusagen. Und dann dachte Fritz, wie sorgfältig sein Vater bei seinem Selbstmord gearbeitet hat. Er hatte sich zum Sterben in die große Wanne gelegt, nackt, um keine Kleidung zu verschmutzen. Er rasierte sich vorher säuberlich jegliche Haare ab, angefangen vom Kopf bis über seine Brust- und Schambehaarung, runter bis zu seinen kurzen, stämmigen Beinen. Alles weg. Die angegrauten Haare lagen fein säuberlich in einem Nirosta-Geschirr, das sein Vater auf der aus Edelstahl gebauten Schlachtbank neben seiner gefalteten Sonntagskleidung platziert hatte. Glattrasiert wie eine Sau, die man vorm Zerlegen von ihren Borsten befreit hat, lag er in der Wanne. Lediglich sein viel geliebter Schnauzer, dieser zwei Zentimeter breite Streifen dicker grau-melierter Borsten über seinen Lippen, blieb übrig. Auf der einen Seite baumelten seine haarlosen Unterschenkel aus der etwa eineinhalb Meter breiten Wanne. Auf der anderen Seite lag sein geschorener Kopf reglos nach hinten gekippt auf dem Wannenrand. Sein Mund stand weit offen, genauso wie wenn er vor dem Fernseher eingeschlafen wäre. Seine ausblutenden Hände hielt er sorgfältig ins Innere der Wanne, um den Fliesenboden der Schlachterei sauber zu halten. 

 

Er bewunderte seinen Vater für diese Metzger-technisch perfekt ausgeführte Arbeit und gleichzeitig freute er sich. Nicht wirklich über seinen Tod an sich. Diese Tatsache nahm er lediglich am Rande zur Kenntnis. Fritz freute sich, weil er realisierte, dass seine Zukunft nun die viel geliebte Metzgerei seines Vaters sein sollte, die ein ganz besonderer Ort für ihn war. Er kannte jedes Eck, jede Schublade mit den verschiedenen Metzger-Werkzeugen. Er kannte die Gerüche der Tiere vor und nach ihrem Tod. Er kannte die Todesangst der Kälber und Lämmer, die er in ihren aufgerissenen Augen auf dem Weg zur Hinrichtung sehen konnte. Er kannte sein Wohlbehagen, das ihn bei all diesen Schlachtungen erfüllte, denen er als kleiner Junge meist heimlich beiwohnte.

 

Nachdem er vorhin den Körper mit dem Bolzenschussgerät gekonnt betäubt hatte, legte er einen Strick um den Hals seines Opfers. Damit zog der füllige Fritz die sicherlich einhundertzwanzig betäubten Kilo vom Innenhof seines bäuerlichen Gehöfts in seinen Schlachtraum. Schweißtropfen glänzten im Neonlicht auf der Stirn seines runden Schädels, der ohne Hals auf seinen breiten Schultern zu sitzen schien. Wenig später setzte er mit einer langen Klinge einen perfekten Entblutungsschnitt. Dabei durchtrennte er die Hauptschlagader so, dass das noch immer schlagende Herz das Blut an dieser Verwundung an der Kehle aus dem Körper pumpen konnte. Fritz fing es sorgsam in einem Edelstahlgefäß auf. Er dachte an Blutwurst. Etwa eine halbe Minute später war jegliches Leben entwichen, kein Puls mehr, kein Atmen mehr. Das noch warme Blut dampfte aus dem Gefäß in der sterilen Kühle des Schlachtkellers. Fritz platzierte das Blut ordentlich auf der Schlachtbank, bevor er sich wieder dem nun leblosen Leib zuwendete. Beim Abtrennen des Kopfes konzentrierte sich Fritz auf die stählerne Klinge seines Ausbeinmessers, lauschte den vertrauten Geräuschen beim Aufeinandertreffen von kompromisslosem Stahl mit den Knochen des verendeten Körpers. Nach dem Abtrennen des Hauptes steckte Fritz die zwei Fleischerhaken in die Fußfesseln. Von der Decke der Schlachterei zog er die zwei Ketten auf den Boden, hängte die Haken ein und kurbelte den Körper mit der an der Seitenwand angebrachten Winde nach oben. Der ausgeblutete kopflose Korpus baumelte mitten im Raum. Fritz stand davor und freute sich auf das anstehende Ausweiden.

 

Der Freitod seines fürsorglichen aber leider depressiven Vaters war für Fritz ein triftiger Grund, sein Studium im fernen München abzubrechen, das er nur auf sein Drängen und Geheiß begonnen hatte. Der alte Friedrich wollte seinem Sohn Fritz damit sein eigenes stumpfsinniges Metzger-Dasein in diesem verschlafenen niederbayerischen Nest ersparen. Sein Sohn sollte es besser haben als er selbst und Friedrich wollte nicht einsehen, dass der Junge das Schlachten und Metzgern tatsächlich liebte, es förmlich seine Bestimmung zu sein schien. Fritz übernahm deshalb mit Begeisterung gemeinsam mit seiner verwitweten Mutter die Metzgerei und konnte nun endlich seiner Passion nachkommen: Lebendes tot machen, den Körper anschließend aufschlitzen, ausweiden und zerteilen.

 

Heute ist der Ort verschlafen wie eh und je, seine Mutter liegt schon seit Jahren neben ihrem freiwillig dahin geschiedenen Ehemann auf dem örtlichen Friedhof. Fritz mag die Abgeschiedenheit, die Einsamkeit, die völlige Stille in seiner leblosen Metzgerei. Besonders dann, wenn nach dem Töten nur sein eigenes Atmen im kahlen Schlachtkeller zu hören ist. Sonst nichts. Die Nachbarskinder, die wie einst er selbst durchs Kellerfenster beim Schlachten zusahen, kommen nicht mehr her. Schwarze Klebefolie sorgt seit langem für Intimität zwischen ihm und seinen Opfern. Seiner Neigung zur Kreativität lässt er bei der Kreation eigenwilliger Wurstsorten freien Lauf, die dann am Ende aber kaum einer seiner verschrobenen niederbayerischen Kunden kaufen will. Wer lässt sich schon gerne auf Chiliblutwurst oder Weißwürste mit Schokostücken ein? Dafür hat man ihn vor Kurzem nach fettarmem Leberkäs‘ gefragt. Dieser arrogante glatzköpfige Schnösel von der Nordsee stand in seiner Metzgerei und verlangte tatsächlich fettarmen Leberkäs‘. Beim Anblick dessen angegrauten dicken Schnauzers hatte Fritz plötzlich eine Vision.

 

Zufrieden begutachtet er nun den leblos an den Fleischerhaken baumelnden Korpus. Die Wanne mit den darin wabernden Eingeweiden schiebt er mit der Spitze seiner klobigen blutbespritzten Gummistiefel unter die Nirosta-Theke seiner Schlachtbank. Unangenehmes Quietschen von Plastik auf Fliesenboden durchdringt widerhallend den Raum. Mit dem großen Rinderspalter zerteilt Fritz mit kurzen, kräftigen Hieben den Körper in zwei Hälften. Einzeln hebt er sie vom Haken, schultert sie und legt sie anschließend auf die lange Schlachtbank, um sie dort weiter aufzuarbeiten. Fritz atmet schwer vom Herumhieven der gewichtigen Körperteile. Er betrachtet sein Werk. Linke Hälfte mit beiden Extremitäten, halb darüber platziert liegt die rechte Hälfte mit beiden Extremitäten und daneben der fein säuberlich abgetrennte glatzköpfige Schädel mit dem angegrauten dicken Schnauzer. Unter dem glänzenden Edelstahltisch steht die Wanne mit den Eingeweiden. Fritz ist glücklich.

 

APRIL 2012